Die holländische Kornkammer – GOLDGELBES GETREIDE UND PLÄTSCHERNDES WASSER Die Niederlande, berühmt und berüchtigt für seine wunderschönen, kilometerweiten Landschaften. Besonders im Frühjahr und Sommer fallen die Getreidefelder ins Auge. Im Frühjahr kurz und grün, im Sommer lang und gelb, wehen die Halme im Wind. In der Erntezeit hängt der Geruch vom Weizen in der Luft- Herzlich Willkommen in der holländischen Kornkammer. AUS DEM EINZTIGEN ACKERLAND WURDE WUNDERSCHÖNES NATURGEBIET- MIT UNZÄHLIGEN FREIZEITMÖGLICHKEITEN FÜR JEDERMANN. Es ist ein Gebiet mit Gegensätzen. Die Bauern verdienten Ende des 19. Jahrhunderts viel Geld auf den fruchtbaren Lehmböden und ließen prachtvolle Höfe mit großen Scheunen dahinter errichten. Großbauern ließen sie sich nennen und benahmen sich wie Edelleute. Sie spielten Tennis, hielten Dressurpferde, betrieben Politik und organisierten natürlich ihre erfolgreichen Betriebe. Im Gegensatz hierzu mussten die Arbeiter schwer schuften und bekamen dafür einen Hungerlohn. Die Bauern behandelten ihre Mitarbeiter oft schlecht und kündigten sie bei Krankheit. War jedoch ein Pferd krank, ließ man schnellstmöglich den Tierarzt kommen. Im Winter saßen die meisten Arbeiter arbeitslos zu Hause und litten mit ihrer Familie bittere Armut. Dass ausgerechnet im Oldambt der Kommunismus Wurzeln schlug, ist daher nicht verwunderlich. Zwischen dem 19. und 20. Jahrhundertwende waren die Verhältnisse zwischen Bauern und Arbeitern dermaßen aus dem Lot geraten, dass die Arbeiter mehr Gerechtigkeit forderten. Sozialistische Vorarbeiter wie Domela Nieuwenhuis und Jan Poppes Hommes fanden bei den Arbeitern Gehör und schon bald nannten sich viele Kommunist oder sogar Anarchist. Selbst einige Großbauern wurden von der roten Ideologie gepackt. Einer von ihnen war Derk Roels Mansholt, der Großvater des späteren europäischen Landwirtschaftsreformers Sicco Mansholt. Landwirtschaftsreformer Sicco Mansholt wurde im Oldambt mit einem Standbild verewigt, obwohl viele Bauern ihn verschmäht hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er Landwirtschaftsminister und unter seiner Schirmherrschaft wurde die Lebensmittelknappheit in Angriff genommen. Doch die Ideale des Groningers reichten weit bis über die Landesgrenzen hinaus. Er wollte einen Schritt weiter: nach Europa. Von 1958 bis 1973 war er europäischer Kommissar für Landwirtschaft und in dieser Funktion nahm er große Veränderungen vor, die das Oldambt bis zum heutigen Tage prägen. Er stimulierte Zusammenlegungen und hielt die Getreidepreise künstlich hoch, was in riesigen Bauernhöfen und ausgedehnten Weizenfeldern resultierte. In De graanrepubliek (Die holländische Kornkammer/Getreideparadies/Getreiderepublik), dem bekannten Buch des Journalisten Frank Westerman, ist zu lesen, wie Mansholt die Kommunisten sowie die Getreidefelder des Oldambtes unauflöslich miteinander verbunden hat. Die Säbelschnäblerkrise Zusammenlegungen und Mechanisierung der Landwirtschaft brachten den Arbeitern jedoch stets weniger Arbeit. Der einzige Großbauer erledigte seitdem alles selbst und benötigte oft keinen Knecht mehr. In den Strohpappenfabriken, eigentlich die einzige Industrie in dem Gebiet, lief es schlecht. Die Oldambter suchten nach Wegen, andere Industriezweige in die Region zu locken und setzten auf einen großen Kanal für Seeschiffe, welcher quer durch den Dollart verlaufen sollte. Doch nachdem die Schleusen im Dollart bereits am „Punt van Reide“ angelegt waren, protestierte die aufkommende Umweltbewegung. Der Sabelschnäbler, ein Wattvogel auf dünnen, hohen Beinen, wurde zur Gallionsfigur in ihrem Streit gegen die Gefährdung des Deichvorlands. Es kam zu einer regelrechten „Säbelschnäblerkrise“, als Befürworter und Gegner des Kanals sich bis nach Den Haag in die Beschlussfassung einmischten. 1974 wurde der Dollartplan aufgeschoben und schließlich komplett ad acta gelegt. Die Schleusen, die nie auch nur einen Tropfen Wasser durchgelassen hatten, wurden 1990 wiederaufgebaut. Heute liegen am „Punt van Reide“, dort, wo einst eine Betonrinne auf Seeschiffe wartete, im Sommer Seehunde in der Sonne. Blauwestad Schiffe fahren trotzdem durch das Oldambt, auch wenn es keine Ozeandampfer sind. Viele Privatboote schippern auf dem Oldambtmeer, das gemeinsam mit dem ambitiösen Wohnprojekt Blauwestad seit 2006 im Herzen der Region liegt. Wo einst das Getreide wogte, plätschert jetzt das Wasser. Blauwestad wurde als wirtschaftlicher Impuls für das Gebiet angelegt und sollte hunderte neuer Bewohner anziehen. In der Praxis scheint dies jedoch einfacher gesagt als getan, auch wenn das Konzept nach geänderten Plänen jetzt besser angenommen wird. Das einstige Ackerland wurde in ein attraktives Naturgebiet mit unzähligen Freizeitmöglichkeiten verwandelt. Eigensinniges Oldambt Überall in der Region findet man Beispiele teilweise äußerst radikaler Ideen, die sich gegen jede Tradition oder gefestigte Ordnung stellen. Neben dem Paradebeispiel Blauwestad zum Beispiel eine Galerie in einem ehemaligen Stall. „Kunstbauer“ Waalkens war Ende der 60er Jahre ein Vorreiter auf diesem Gebiet. Mit aufsehenerregenden Ausstellungen in seinem Kuhstall und Landschaftskunst auf seinem Bauernhof verschaffte er dem Oldambt überregionale Bekanntheit. Im Juni 2017 fand ein großes Kunstevent mit dem Thema „Rundum Waalkens“ statt. Kunst spielt in dieser Region außerdem eine wichtige Rolle. Es gibt viele Künstler und Galerien. Das Kulturfestival „Hongerige Wolf“ (übersetzt: der hungrige Wolf) zieht jedes Jahr eine bunte Besucherschar an und überall in der Landschaft sind besondere Bilder und Skulpturen zu finden. Eines dieser Standbilder ist ein Porträt von Sicco Mansholt. Er schaut hinaus aufs Oldambtmeer. Nach einem Leben voller Agrarpolitik krempelte er sein Leben in den letzten Jahren komplett um und setzte sich für die Naturpflege ein. Damals eine Einstellung, die kritisch beäugt wurde. Heutzutage ist dies mittlerweile sehr geschätzt - Ackerland und Naturgebiet liegen brüderlich nebeneinander. Text: Els Zwerver